Erlebnisbericht aus Groß Wartenberg
Von Gertrud Drieschner
In der Nacht zum 18./19.1.1945 begann unser Abtransport mit Sonderzug
nach Schweidnitz. Ankunft am Sonntag früh. Dann kamen wir erst ins
Sammellager (Volksgarten) und wurden von da in Privatquartiere verteilt.
Dort blieben wir bis zum 11.2.1945, einem Sonntag. An diesem Tag war
gegen Mittag ein russischer Fliegerangriff. Daraufhin wurden in der
Nacht Sonderzüge eingesetzt, um die Flüchtlinge weiter zu befördern. Ich
kam über Hirschberg nach Tabor in der Tschechei. Wir wurden dort in
einem ehemaligen Kloster untergebracht, ungefähr 25 Personen in einem
Raum. Die Verpflegung war nicht schlecht, nur sehr knapp. Da schon viel
Gerüchte umgingen, daß der Krieg bald zu Ende sein würde, rieten uns
Verwandte nach dem Sudetengau zu gehen, da es wohl dort etwas sicherer
wäre. Wir kamen nach Haida bei Böhmisch-Leipa.
Nach dem 8. Mai versuchten
wir wieder in Richtung Heimat zu kommen, da nach dem Westen die Straßen
mit Flüchtlingen vollkommen verstopft waren und es auch an Verpflegung
mangelte. Wir hörten, daß ein Zug mit Eisenbahnern und Angehörigen auf
dem Bahnhof stehe und es gelang uns mit unterzukommen. Der Zug ist aber
nur zwei Stationen weiter gekommen, dann war es schon zu Ende, da alle
Eisenbahnbrücken auf dieser Strecke gesprengt waren. Wir blieben nun
acht Tage in diesem Zug, kochten auf dem Bahnsteig (Feuerstellen wurden
mit Ziegeln gemacht) Kartoffeln, und was wir sonst noch so fanden.
Schlimm war es für die Kinder, die ja noch mehr unter dem Hunger litten,
als wir. Nachdem gar keine Aussicht mehr bestand mit dem Zug weiter zu
kommen, "organisierten" wir kleine Wagen und machten uns mit vielen
Leidensgenossen auf den Weg um eventuell nach Haus zu kommen. Es waren
doch von den Russen überall Plakate angebracht worden, wir sollten nur
zurückkehren, Kinder sollten wieder zur Schule, Bauern auf ihre Höfe
usw. Bevor wir loswanderten mußten wir uns bei der russischen
Kommandantur Passierscheine holen, um überall durchgelassen zu werden.
Nun begann eine Wanderung von täglich gegen 35 Kilometer. Zeitig am
Nachmittag mußte man sich schon nach einem Nachtquartier umsehen, denn
abends war schon meist alles besetzt. So ging es acht Tage bis wir in
Lähn am Bober waren. Dort dachten wir bei meinem Vater unterzukommen,
aber leider war das nicht mehr möglich. Da trafen wir zufällig eine
bekannte Frau, früher Groß Wartenbergerin, die vor Jahren nach Lähn
verzogen war. Sie nahm uns alle sieben mit zu sich. Fünf Tage später
gingen wir weiter auf Breslau zu.
Was man alles unterwegs gesehen und
erlebt hat, kann man gar nicht schildern. Als wir in Breslau einzogen,
vom Flughafen aus, sahen wir die grauenvolle Verwüstung. Da war auch
kein Haus verschont geblieben, bis hinein zum Königsplatz. Auf der
Oderbrücke wurden wir von Russen kontrolliert, durften aber weiter. In
Breslau-Hundsfeld sahen wir ein deutsches Gefangenenlager und ein langer
Güterzug stand schon bereit um die gefangenen deutschen Soldaten
abzutransportieren. Lange Kolonnen von Polen liefen in das Innere
Schlesiens und wir sahen so langsam ein, daß es wohl nicht viel Zweck
hatte zurückzukehren. Aber da wir nun schon so weit waren, hielt uns
auch nichts mehr zurück, denn wir wollten nach Hause. Es war ein
trauriges Wiedersehen am 4. Juni 1945.
Wir mußten uns sofort auf dem
Landratsamt melden und dann jeden Tag früh 6 Uhr auf dem Hofe der
Stadtbrauerei. Dort warteten dann Russen und Polen und suchten sich
Arbeitskräfte. Eine Gruppe von ungefähr 25 Personen kam zur
Landwirtschaft, auf die Güter ringsum, dann gab es eine Malergruppe,
eine Gruppe zum Straßenkehren, meist ältere Frauen und dann viele, die
die geplünderten Wohnungen wieder sauber machen mußten. Für diese
Arbeiten gab es täglich ein halbes Pfund Brot, später 400 Gramm. Am
Anfang fanden wir immer noch etwas in den Wohnungen an Kaffee, Tee und
Kartoffeln. Dazu brachten wir uns von den Feldern Grünzeug mit. Krank
sein durfte man nicht, umsonst behandelt wurde keiner und Geld hatten
wir nicht. Anfangs war Dr. Bornemann noch da und hat vielen geholfen,
auch die Polen besuchten seine Sprechstunde. Später kam ein polnischer
Kreisarzt, der noch nicht mal alle seine Prüfungen gemacht hatte. Zwei
Gefängnisse waren auch da, wer in das eine kam war besonders schlimm
dran. Es waren leider sehr
viel Bekannte da. Viele Leidensgenossen, die in ihrem Beruf
untergekommen waren, es waren drei Fleischer aus unser Stadt, halfen uns
immer einmal mit kleinen Zuwendungen.
1946 kam ein Teil der Deutschen zu
den Stadtarbeitern. Wir mußten Panzergräben mit zuschippen, die Trümmer
unseres Rathauses wegräumen, Koks von der Gasanstalt nach dem Wasserwerk
fahren, da Wassermangel eingetreten wäre, wenn die Maschinen nicht mehr
gegangen wären. Bei den Drainagearbeiten gab es zum ersten Male Geld, 75
Zloty die Woche. Die Polen bekamen das Doppelte.
Wir waren ja froh, daß
wir mit den Zlotys etwas kaufen konnten. Einmal wurden eine ganze Menge
Deutscher Sonnabend früh aus den Betten geholt, um Vieh zu holen und
nach Groß Wartenberg zu treiben. Es wurde aber gesagt am Sonntag,
spätestens Montag seid ihr wieder zurück. Wir kamen erst nach vier
Wochen wieder nach Haus. Wir wurden in einem Lastauto stehend in die
Gegend von Glatz gefahren. Dort wollten die Polen von den Russen Kühe
einhandeln. Die Russen ließen sich aber zuerst nicht darauf ein und so
vergingen drei Wochen. Da das Wetter dann zu schlecht war wurde das Vieh
in Güterwagen verladen und wir auch. Wir mußten dann immer auf
verschiedenen Stationen Stroh heranschleppen, dann wurde eine Kette
gebildet und das Wasser für das Vieh eimerweise weitergereicht. Von
Glatz bis nach Groß Wartenberg dauerte die Reise eine ganze Woche. Wir
lebten in dieser Zeit nur von Brot und Milch. In Brockau (bei Breslau)
auf dem Verschiebebahnhof trafen wir mit den ersten deutschen Gefangenen
zusammen, die krank aus Rußland zurückgeschickt wurden. Da sie ja auch
Hunger hatten, teilten wir mit ihnen was wir so hatten. Sie halfen uns
so gut sie konnten bei dem Wasserschleppen.
Vom ersten Erntedankfest
wäre noch etwas zu sagen, es wurde mit einem Umzug und Essen aus der
Gulaschkanone gefeiert. Wir Deutschen mußten Geschirr und Tische sauber
halten. Gegen Abend kam es zu einer Schießerei zwischen Russen und
Polen, es gab einige Tote und Verletzte. Ein Russenfriedhof wurde auf
dem freien Platz bei der Gasanstalt angelegt. Herr Moses mußte für jedes
Grab einen Denkstein anfertigen. Die Stimmung zwischen Russen und Polen
war immer etwas gespannt.
Die katholische Kirche wurde für die Deutschen von Pfarrer Nowak
gehalten, für die Evangelischen kam alle vier Wochen ein Pastor. Die
Kirche war dann immer gut besucht. Von weit her kamen die Kirchgänger,
um den Altar stand alles voll Blumen. Der Pastor mußte alle Gemeinden zu
Fuß aufsuchen, da ja Deutsche nicht mit der Bahn fahren durften. Ich
glaube der Pastor kam aus Breslau.
So ging die Zeit hin. Im Oktober 1946
hörten wir, daß drei Transporte mit Deutschen rausgingen. Alle mußten
sich im Jugendhaus melden, wurden dort noch einmal um einen Teil ihrer
geringen Habe erleichtert und dann ging es zum Bahnhof. Nun mußten wir
ein zweites Mal die Heimat verlassen. Aber so hätten wir dort auch nicht
weiterleben können. Einige waren schon vorher weggefahren, wenn sich
Gelegenheit dazu bot. Es war jedenfalls traurig zu sehen, was aus dem
sauberen Städtchen geworden war. Man fühlte sich richtig fremd. Außer
zur Arbeit traute man sich kaum aus dem Haus.
Mit dem Transport kamen
wir erst in ein Sammellager in Elsternhorst, dort mußte man eine
bestimmte Zeit bleiben und wurde dann in verschiedene Gegenden verteilt.
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