Abb. 120
Groß Wartenberg Schloßkirche

Die evangelische Kirche im Kreise Groß Wartenberg

Von Walter Blech

Die Reformation hat im Gebiet des späteren Kreises Groß Wartenberg schon früh Eingang gefunden. Zum Teil gehörte es zum Fürstentum Oels. Dort regierte Herzog Karl I., der im Briefwechsel mit Luther stand. Seine Söhne erließen 1538 eine evangelische Kirchenordnung und begründeten ein Kircheninspektorat mit dem Sitz in Oels. Seit 1561 wurde der Kircheninspektor Superintendent genannt. Nach unseren Begriffen wäre die Bezeichnung Generalsuperintendent sinngemäßer gewesen. Superintendenturen waren vielmehr die ihm unterstellten Seniorate. Eine Erinnerung an diese alte Einrichtung war bis in die jüngste Zeit in Festenberg das "Seniorgäßchen", an dem das untere Pfarrhaus lag.
Groß Wartenberg war zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Freie Standesherrschaft. Der Freiherr Joachim von Maltzan hatte sie 1529 übernommen und führte um 1550 die Reformation ein. Er bestellte einen Superintendenten mit dem Sitz in Groß Wartenberg.
1810 finden wir Groß Wartenberg und andere Kirchen im Verband der Breslauer Landdiözesen. Sie waren damit dem Breslauer Kircheninspektorat unterstellt. 1822 wurde aus diesem Kirchengebiet eine besondere Diözese Groß Wartenberg - Namslau ausgesondert. 1871 erfolgte die Bildung einer selbständigen Diözese Groß Wartenberg. Der erste Superintendent dieser neuen Diözese (später Kirchenkreis genannt) war der Pastor Appenroth in Neumittelwalde.
1920 verlor der Kreis Groß Wartenberg nahezu die Hälfte seines Gebiets und zwei Fünftel seiner Einwohner. Davon wurde auch der evangelische Kirchenkreis hart betroffen. Von den 21208 Einwohnern, die zu Polen kamen, waren rund 13 000 evangelisch. Vier Kirchspiele (Schreibersdorf, Groß-Friedrichstabor, Bralin und Honig) wurden völlig an Polen abgetreten. Von den Kirchspielen Groß Wartenberg und Neumittelwalde blieben die Pfarrorte und eine Reihe von Dörfern bei Deutschland, andere zu diesen Kirchen gehörende Ortschaften fielen an Polen. Von der Kirchengemeinde Suschen wurde der größte Teil mit Kirche und Pfarre abgetreten, zwei Dörfer (Neurode und Grenzhammer) blieben bei Deutschland. Mit Suschen kam auch der damalige Sitz der Superintendentur mit dem Superintendenten Voß zu Polen.
Der arg zusammengeschmolzene Kirchenkreis wurde zunächst von der Superintendentur Oels verwaltet. Am 1. November 1923 wurde der Kirchenkreis Groß Wartenberg neu begründet. Am 12. Juli 1924 wurde ich, damals Pastor in Pontwitz, Kreis Oels, zum Superintendenten dieses Kirchenkreises ernannt. Am 1. November 1925 siedelte ich nach Festenberg über. Um den Kirchenkreis wieder lebensfähig zu machen, wurden ihm mehrere Kirchengemeinden aus den benachbarten Kirchenkreisen zugeteilt: vom Kirchenkreise Bernstadt-Namslau Reesewitz und Pontwitz-Schollendorf, vom Kirchenkreise Oels Briese, Großgraben und Maliers (Malen). Die Kirchengemeinde Brustawe (Eichensee), Kreis Militsch, die zum Kirchenkreise Groß Wartenberg gehört hatte, dann aber der Superintendentur Militsch unterstellt worden war, kehrte zu ihrem alten Kirchenkreis zurück. So umfaßte der neue Kirchenkreis Groß Wartenberg wieder 12 Kirchengemeinden mit 23 450 Seelen, 14 Kirchen, 13 Pfarrstellen und einem Pfarrvikariat.
Der evangelische Kirchenkreis Groß Wartenberg griff also über den Landkreis Groß Wartenberg erheblich hinaus. Da aber dieses Buch nicht vom Kirchenkreis, sondern vom Landkreis Groß Wartenberg handelt, soll im folgenden nur über die Kirchengemeinden Näheres gesagt werden, die im Landkreis Groß Wartenberg lagen. Es sind dies: Groß Wartenberg, Ober-Stradam, Festenberg, Goschütz, Neumittelwalde und Schollendorf.

Groß Wartenberg - Ober-Stradam

Wie bereits bemerkt, hatte der Besitzer der Freien Standesherrschaft Groß Wartenberg Freiherr Joachim von Maltzan um 1550 die Reformation eingeführt. Eine grundlegende Veränderung trat hierin ein, als die Herrschaft im Jahre 1592 durch Kauf in den Besitz des katholischen Burggrafen Abraham von Dohna kam. Damit begann für die Evangelischen eine sehr schwere Zeit. In der Pfarrkirche zu St. Peter und Paul wurden evangelische Gottesdienste verboten. Man ließ den Evangelischen nur die kleine St. Michaeliskirche. Diese brannte 1637 ab; der Wiederaufbau wurde nicht erlaubt. Die evangelischen Geistlichen und Lehrer mußten die Stadt verlassen. Viele Evangelische wanderten damals aus. Eine Wende trat ein, als am 18. März 1735 Ernst Johann Graf Biron, der 1737 von den kurländischen Ständen zum Herzog von Curland gewählt wurde, die Herrschaft Wartenberg kaufte. Der Herzog erwies sich als ein warmer Beschützer der Evangelischen. Er richtete an den Kaiser in Wien das Gesuch, eine evangelische Schloßkapelle erbauen zu dürfen. Diese Erlaubnis wurde ihm am 5. September 1735 erteilt, wobei allerdings die Einschränkung gemacht wurde, daß nur die Bürger der Stadt und die Adeligen vom Lande an den Gottesdiensten teilnehmen durften (also nicht die andere Bevölkerung). Die Kapelle wurde am 4. November 1736 eingeweiht, erwies sich aber sehr bald als viel zu klein.
Mit dem Ende der österreichischen Herrschaft und der Besitznahme Schlesiens durch Preußen fielen manche Beschränkungen fort (wenn auch zunächst noch nicht alle). Vor allem erhielten die Evangelischen in Schlesien von Friedrich d. Gr. die Erlaubnis zum Kirchbau, wo man den König darum anging. So konnte in den Jahren 1785-1789 der Herzog Peter Biron von Curland nach den Plänen des Kgl. Baurats Karl Gotthard Langhans, des Erbauers des zum Symbol gewordenen Brandenburger Tors in Berlin, die evangelische Schloßkirche erbauen lassen, die heute noch steht. Die Baukosten in Höhe von 40 000 Talern trug der Herzog. Die Kirche ist im klassizistischen Stil erbaut. Am 29. November 1789 (l. Advent) wurde sie durch den Hofprediger Sassadius eingeweiht und "ad Johanneum et Petrum" genannt. Die Statuen der beiden Apostel grüßen vom Dachsims. Der Turm hat als krönenden Abschluß nicht wie sonst ein Kreuz oder einen Turmhahn, sondern ein wohl einzigartiges Symbol: die Weltkugel, von einer Schlange umschlossen, Sinnbild der vom Bösen gefangengenommenen Welt, und darüber Kelch und Hostie, die Zeichen des Abendmahls und damit der erlösenden Gegenwart Christi. In dem Turm schwangen drei Glocken. Die beiden größeren mußten 1941 abgegeben werden. Nach dem Zusammenbruch lagerten sie in Hamburg und lassen heute als "Patenglocken" in Preetz (Holstein) ihre eherne Stimme erschallen. Sie sind dem Groß Wartenberger Pastor Werner Seibt dorthin nachgefolgt. Die Groß Wartenberger Schloßkirche steht noch und ist heute eine polnisch evangelische Kirche mit eigenem Pastor. - In der Sakristei der Kirche ist der geschnitzte eichene Beichtstuhl bemerkenswert, ferner ein Altarbild, das noch aus der alten Schloßkapelle, der Vorgängerin der Schloßkirche, stammt. Als besonderer Schmuck der Kirche dürften der von der Gemeinde zum hundertjährigen Jubiläum des Gotteshauses geschenkte 56-armige Leuchter und die drei Denkmalspfosten mit den Namen der Gefallenen anzusprechen sein. Die Orgel wurde 1945 zerstört.
Die Kirchengemeinde Groß Wartenberg hatte zuletzt 4 200 Seelen. Durch die Abtretung von 1920 verlor sie drei Dörfer (Groß-Kosel, Mechau und Perschau). Sie hatte aber immer noch eine weite Ausdehnung. Früher war das in noch größerem Umfang der Fall. Es war für das kirchliche Leben ein großer Segen, daß sich im Laufe der Jahre Tochtergemeinden von der Muttergemeinde lösten. 1856 wurde Bralin Predigtstation mit einem Vikar und nach Erbauung der Kirche 1875 selbständige Kirchengemeinde. Ihr folgte Schreibersdorf, wo Prinz Gustav Biron von Curland zum Gedächtnis an seinen früh verstorbenen Sohn Wilhelm die Prinz Wilhelm-Gedächtniskirche errichtete, ein Gotteshaus von großer Schönheit, aus rotem Sandstein erbaut. In demselben Jahr (1902) wurde die von Majoratsbesitzer Georg von Reinersdorff-Paczensky und Tenczin erbaute Kirche in Ober-Stradam eingeweiht und damit auch hier die Vorbedingung für eine eigene Kirchengemeinde geschaffen. Sie wurde Neujahr 1905 errichtet und umfaßte etwa 700 Seelen. Sie wurde pfarramtlich mit Groß Wartenberg verbunden, doch wurde in Ober-Stradam ein ständiges Pfarrvikariat errichtet. 1900 erbaute der Majoratsbesitzer Dr. Hans von Korn in Rudelsdorf eine Kirche. In ihr hielt der in Ober-Stradam tätige Vikar alle 14 Tage Gottesdienst. Die Rudelsdorfer Kirche gehörte aber nicht zur Kirchengemeinde Ober-Stradam, sondern zur Kirchengemeinde Groß Wartenberg.
Die evangelische Kirchengemeinde Groß Wartenberg besaß seit 1932 ein Gemeindehaus mit Saal, Kindergarten und Schwesternwohnung. Die Diakonissenstation mit zwei Schwestern aus dem Lehmgrubener Mutterhaus in Breslau wurde 1933/34 von der Kirchengemeinde
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Evangelische Kirche in Ober-Stradam
übernommen; bis dahin war sie von der Freien Standesherrschaft gemeinsam mit dem Roten Kreuz unterhalten worden. Auch in Ober-Stradam und in Rudelsdorf war je eine Diakonissin tätig, ebenfalls aus Lehmgruben. Diese beiden Stationen (mit Kindergarten) waren von den Besitzern der Rittergüter begründet worden und wurden von ihnen unterhalten.
Letzter Kirchenpatron und Besitzer der Schloßkirche in Groß Wartenberg war Prinz Karl Biron von Curland.
Letzte Geistliche: Pastor Werner Seibt und Pastor Christoph Bode (gefallen).
Letzter Kantor: Lehrer Karl Waetzmann.
Letzte Besitzer der Kirche in Ober-Stradam: Majoratsbesitzer Friedrich von Reinersdorff-Paczensky und Tenczin, seit 1. Juli 1944 Rittergutsbesitzer Peter von Reinersdorff-Paczensky und Tenezin.
Von den letzten in Ober-Stradam tätigen Pfarrvikaren ist mir besonders erinnerlich: Lic. Martin Peisker (in russischer Gefangenschaft gestorben).
Letzter Kantor: Hauptlehrer Herbert Sämann.
Letzter Besitzer der Kirche in Rudelsdorf: Rittergutsbesitzer Stanislaus von Korn.

Festenberg, zum Fürstentum Oels gehörig, wandte sich früh dem evangelischen Glauben zu und wurde eine fast ganz evangelische Stadt. 1764 z. B. hatte sie 318 evangelische und 3 katholische Wirte. Die größten Verdienste um die ganze Stadt und auch um die evangelische Gemeinde erwarb sich die Herzogin Eleonore Charlotte von Württemberg-Oels, die 1676 Festenberg käuflich erwarb und ihre Residenz in das Festenberger Schloß verlegte. Sie stellte einen Bebauungsplan auf, zog durch Gewährung von Vergünstigungen viele Einwohner in die Stadt, schuf den Oberring mit den angrenzenden Straßen und erbaute eine neue schöne in Kreuzform ausgeführte Kirche, die ebenfalls auf dem Oberring errichtet wurde und den Namen "Zum Kripplein Christi" erhielt. Nun hatte Festenberg zwei Kirchen. Denn schon längst stand auf dem Platz, auf dem später die Kapelle errichtet wurde, ein Gotteshaus: die Kirche "Zur heiligen Dreifaltigkeit", nun auch "die untere" genannt. Es läßt sich nicht genau feststellen, wann diese Kirche erbaut worden ist.
Im Jahre 1727 kaufte der Graf Heinrich Leopold von Reichenbach die Freie Standesherrschaft Goschütz, vergrößerte sodann seinen Besitz durch einige zur Herrschaft Festenberg gehörige Güter und erwarb 1743 auch Stadt und Gut Festenberg. Damit wurde die enge Verbindung geschaffen zwischen der evangelischen Kirchengemeinde Festenberg und den Grafen von Reichenbach, deren treuer Fürsorge sich die Gemeinde bis zuletzt erfreuen durfte.
Die Stadt ist wiederholt von schweren Bränden heimgesucht worden. Besonders verheerend war die Feuersbrunst vom 18. April 1875, der neben vielen Bürgerhäusern auch das untere Pfarrhaus und die Kirche auf dem Oberring zum Opfer fiel. Der Verlust dieser Kirche wurde von der Gemeinde sehr schmerzlich empfunden, aber mit großem Eifer und viel Opfersinn und mit Unterstützung vieler Gönner machte man sich alsbald an den Aufbau, so daß am 4. Oktober 1877 die neue Kirche eingeweiht werden konnte. Sie ist als Ziegelrohbau in Kreuzform erbaut und gewährt mit ihrem über 60 m hohen Turm schon von ferne einen stattlichen Anblick.
Bald darauf wurde die "untere Kirche", die im Laufe vieler Jahre sehr reparaturbedürftig, ja zuletzt baufällig geworden war, abgebrochen. Was aber von ihrem Material noch verwendbar war, wurde nicht weggetan, sondern es wurde daraus eine Kapelle errichtet, und zwar auf demselben Platz, auf dem die Kirche gestanden hatte. Dabei wurde das künstlerisch sehr wertvolle Inventar aus der alten Kirche übernommen. Dadurch wurde die Kapelle, wie man wohl gesagt hat, "ein Museum erlesener alter Holzschnitzereien". Da war z. B. der reich geschnitzte Altar mit dem großen überragenden Kruzifix, da waren die den Altarraum abschließenden Apostelgestalten, da war der Kanzelaufgang und die Kanzel selbst mit Darstellungen aus der Geschichte des Geschlechts derer von Köckeritz, da waren alte Wappenschilder, Grabmäler usw. Immer wieder ergriff die schlichte Schönheit dieser alten Schnitzereien jeden Besucher aufs neue. Das kleine Gotteshaus erfreute sich daher auch des Interesses und der Fürsorge des Provinzialkonservators der schlesischen Kunstdenkmäler. - Von den heiligen Geräten, die in der Kapelle aufbewahrt wurden, verdient ein aus dem Jahre 1729 stammendes silbernes Taufbecken erwähnt zu werden, geschenkt von der "löblichen Bruderschaft der Tuchknappen". Es trug die Inschrift "Durch dieses Gnadenbad schenkt Gott das Himmelreich, er sei reich oder arm, jedwedem ist es gleich".
Zu einer besonderen Bedeutung gelangte die Kapelle am Schluß des letzten Krieges und in der Zeit danach, wo sie der klein gewordenen evangelischen Gemeinde für ihre Gottesdienste und für andere kirchliche Handlungen und Veranstaltungen diente, da ihr die Kirche nicht mehr zur Verfügung stand.
Die Kapelle hatte nur eine Glocke, aber diese Glocke hat ein besonderes Schicksal erfahren. Sie mußte während des letzten Krieges abgeliefert werden, überdauerte aber den Krieg auf der Glockensammelstelle in Hamburg. Von dort erhielt ich in Parensen Kreis Göttingen, wo ich von 1945 bis 1955 tätig war, die Anfrage, was mit der Glocke geschehen solle. Da in Parensen eine Glocke fehlte, ließ ich die Kapellenglocke dorthin kommen. Am 30. März 1952 wurde sie in einem feierlichen Gottesdienst der Gemeinde als "Patenglocke" zu treuen Händen übergeben (sie ist aber im Eigentum der evangelischen Gemeinde Festenberg geblieben). Die Glocke hat folgende Inschrift "Anno 1655 nach Christi, unseres Erlösers und Seligmachers Geburt hat der wohledelgeborene, gestrenge, auch hochbenamte Sigemund von Köckeritz und Friedland auf Festenberg, Groß-Sirchen, Linsen und Neudorf, Fürstlich Württemberg Oelsnischer Rat, nebst dessen herzliebsten Ehegenossin, der wohlgeborenen Frauen, Frauen Mariae Köckeritzin, geborenen Sauermann Freyen von der Jeltsch, Frauen auf Festenberg - diese Glocke bereiten und verfertigen lassen, treulichst wünschend, daß solche bei reinem Gottesdienste zur Fortpflanzung dessen Ehre und des allein seligmachenden Wortes bis zum lieben jüngsten Tage gebraucht werden möge". Darunter steht das Wort Psalm 146, V. 1 und 2 "Lobe den Herrn, meine Seele! Ich will den Herrn loben, solange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, solange ich hier bin". Ferner zeigt die Glocke das von Köckeritz'sche Wappen und auf der anderen Seite die Inschrift "Sebastian Götz goß mich zu Breslau".
Im Vergleich mit der Kapelle war an Kunstschätzen in der Kirche auf dem Oberring nur wenig vorhanden, doch hatte sie einige bemerkenswerte Erzeugnisse der Festenberger Kunsttischlerei aufzuweisen, ferner einige gut erhaltene Bilder früherer Geistlicher und einen kunstvoll gearbeiteten Hängeleuchter, der beim Brande aus der alten Kirche gerettet worden war.
Im gottesdienstlichen Leben hatte die Kirchengemeinde zwei Besonderheiten: das Montagfrühgebet und die Himmelfahrtsfrühandacht. Das Montagfrühgebet fand im Sommer an jedem Montag früh 7 Uhr in der Kapelle statt. Es wurde nach einer alten besonderen Liturgie gehalten und erfreute sich immer eines guten Besuchs. Die Himmelfahrtsandacht wurde am
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Ev. Kirche in Festenberg
Himmelfahrtsfest in aller Frühe auf dem dicht bei der Stadt gelegenen Himmelfahrtsberg im Freien gehalten. Es fanden sich stets viele Andächtige dazu ein (auch bei Regenwetter, der Berg war dann schwarz von Regenschirmen!) Auch diese Andacht verlief nach einer besonderen alten Liturgie.
Die Parochie Festenberg zählte zuletzt etwa 4400 Seelen. Außer der Stadt gehörten zu ihr 10 Dörfer. Früher hatten noch 4 weitere Dörfer dazugehört. Aber 1902 wurden sie der neugebildeten Kirchengemeinde Brustawe (Eichensee) zugeteilt (Kreis Militsch, aber Kirchenkreis Groß Wartenberg). Die Parochie Festenberg hatte teilweise recht weite Entfernungen und schwierige Wegeverhältnisse, so daß die Pastorierung nicht leicht war.
1941 wurde ein Teil der Pfarrscheune zu einem Gemeindesaal umgebaut. Die Finanzierung war zum größten Teil der Evangelischen Frauenhilfe Festenberg zu danken. Es erwies sich als ein großer Segen für das kirchliche Leben, daß die Gemeinde nun einen geeigneten (und schönen!) Raum für kirchliche Veranstaltungen aller Art und für den kirchlichen Unterricht hatte. Von Januar bis März fanden hier auch die Sonntagsgottesdienste statt, da der Saal im Unterschied von Kirche und Kapelle gut heizbar war.
In der Kirchengemeinde befanden sich zwei Diakonissenstationen mit je 2 Schwestern, eine in Festenberg und eine in Groß-Schönwald. Die letztere war begründet und erbaut worden und wurde unterhalten von der Diakonisse Gräfin Elisa von Reichenbach, die dort bis in ihr hohes Alter in Segen tätig war. Die Schwestern entstammten dem Elisabethdiakonissenhaus in Berlin, auf der Festenberger Station später dem Diakonissenmutterhaus Kraschnitz. Die früher von der Freien Standesherrschaft Goschütz unterhaltene Station war bis zuletzt in einem dem Grafen Reichenbach gehörendem Hause in Festenberg untergebracht.
Letzte Kirchenpatrone waren: von 1886 bis 1942 Graf Heinrich von Reichenbach, von 1942 ab Graf Christoph von Reichenbach, Freie Standesherren auf Goschütz.
Letzte Geistliche: Superintendent Walter Blech und Pastor Joachim Ewald.
Letzter Kantor: Wolfgang Rodatz.

Goschütz

Die Festenberg nächstbenachbarte Kirchengemeinde war Goschütz. Die beiden Kirchen waren nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Auch sonst bestanden zwischen Festenberg und Goschütz nähere Beziehungen, besonders, wie schon bemerkt, durch die Gräflich Reichenbach'sche Familie.
Goschütz hatte schon vor 1600 eine überwiegend evangelische Bevölkerung. Damals wurde auch in der katholischen Kirche durch viele Jahre nur evangelischer Gottesdienst gehalten. Ein eigenes evangelisches Gotteshaus hat nur kurze Zeit in Gestalt einer von den Herren von Borschnitz um 1590 erbauten Begräbniskapelle bestanden. Dann kam auch hier die Zeit des Verbots evangelischer Gottesdienste. Viele evangelische Einwohner besuchten damals die vom Fürstentum Oels geschützten evangelischen Gottesdienste im benachbarten Festenberg.
1727 wurde Graf Heinrich Leopold von Reichenbach Besitzer der Freien Standesherrschaft. Nach der Besitznahme Schlesiens durch Preußen erhielt er auf seinen Antrag von Friedrich dem Großen am 6. November 1741 die Genehmigung zur Errichtung eines evangelischen Gotteshauses. Am 16. September 1742 wurde durch den Schloßprediger Pechmann in den oberen Räumen des Goschützer Schlosses der erste öffentliche evangelische Gottesdienst gehalten. Am 23. April 1743 wurde der Grundstein zur Schloßkirche gelegt. Der Bau, den Graf von Reichenbach ganz aus eigenen Mitteln ausführen ließ, ging unter einigen Schwierigkeiten und Verzögerungen vor sich, so daß erst am 30. August 1748 unter Sturm, Regen und Lebensgefahr der Knopf an die Turmspitze aufgesetzt werden konnte. Schon stand die Kirche dicht vor ihrer Vollendung, da zerstörte am 4. Oktober 1749 eine große Feuersbrunst nicht nur einen Teil des Dorfes, sondern auch das Goschützer Schloß mit fast allen Nebengebäuden. Nur mit Mühe wurde die Kirche gerettet. Um die Gottesdienste nicht auf längere Zeit zu unterbrechen, wurde nun, obwohl noch die Baugerüste standen, am 12. Oktober 1749 die Einweihung der Schloßkirche gehalten, wobei der damalige Schloßprediger Laurentius "gedenkend der Trümmer ringsum die erste sehr bewegliche und betrübte Predigt hielt". Im wesentlichen hat die Goschützer Schloßkirche ihre erste Gestalt bis heute bewahrt. Auf dem kreuzförmigen Grundriß erhebt sich ein in einem schönen, ganz reinen Barock ausgeführter Kuppelbau. Die beherrschende Stellung nimmt im Kirchenraum die Kanzel ein, ein Zeichen für die Sehnsucht jener Zeit nach der Verkündigung des göttlichen Worts. Den Altar schmückt die Kopie eines in der Gemäldegalerie in Berlin befindlichen Werkes, die Kreuzigung Christi darstellend. Ihm gegenüber, unterhalb der Orgelempore, sind hinter eisernen Gittern die Steinsarkophage des Grafen Heinrich Leopold, des "templi fundator" (Kirchenerbauers), seiner Gemahlin und zweier Kinder aufgebahrt. Neben der Kanzel hängt das schöne holzgeschnitzte Totenschild-Epitaph von Graf Heinrich Leopolds Großvater, der 1660 starb.
Wie die meisten anderen Kirchspiele im Kreise Groß Wartenberg hatte auch die Kirchengemeinde Goschütz eine weite Ausdehnung. Es gehörten 13 Dörfer dazu mit zusammen etwa 2500 Seelen. In einem dieser Dörfer, in Charlottenthal, wurde in der Schule 14tätig Gottesdienst gehalten. Von fördernder Bedeutung für das Gemeindeleben wurde das von der Gräfin Adelheid erbaute Pflegehaus und die damit verbundene Einrichtung einer Diakonissenstation. Die Goschützer Schwestern entstammten wie in Festenberg zuerst dem Berliner Elisabeth-Diakonissenhaus, dann dem Diakonissenmutterhaus Kraschnitz. Die Station wurde später von der Kirchengemeinde getragen.
Letzte Besitzer der Schloßkirche waren: von 1886 bis 1942 Graf Heinrich von Reichenbach, von 1942 ab Graf Christoph von Reichenbach, Freie Standesherren auf Goschütz.
Letzter Schloßprediger: Pastor Manfred Sondershaus.
Letzter Kantor: Diakon Herrmann.

Neumittelwalde

Der erste evangelische Geistliche wurde 1599 nach Neumittelwalde (damals "Medzibor") berufen. Bald wurde die Anstellung eines zweiten notwendig, weil sich die Evangelischen bis Groß Wartenberg und Schildberg zur Kirche in Neumittelwalde (Fürstentum Oels!) hielten.
Als Gotteshaus diente der Gemeinde zunächst eine 1493 erbaute hölzerne Kapelle. Als diese zu klein wurde, baute man 1719 eine steinerne Kirche darüber, um die Gottesdienste nicht ausfallen zu lassen. Nach Vollendung des Baues trug man das Holz der alten Kapelle durch Türen und Fenster der neu erbauten Kirche hinaus. Dieses Gotteshaus wurde 1836 durch Blitz und Feuer bis auf den Grund zerstört. Man errichtete nun wieder ein neues, das heute noch steht. Es ist in klassizistischem Stil erbaut (von Schinkel im Plan korrigiert). 1928 wurde die Kirche außen und besonders innen eindrucksvoll renoviert. Groß und alles beherrschend ist über Altar und Kanzel das ewige Zeichen des Kreuzes sichtbar, umgeben von einem Strahlenkranz und den Sinnbildern der vier Evangelisten.
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Durchblick zur ev. Kirche in Neumittelwalde
Eine blaue Nische birgt den tiefer liegenden Taufstein. Zwei lebensgroße Engel knien voll inniger Andacht am Eingang.
Den Mittelpunkt des außergottesdienstlichen Gemeindelebens bildete das 1913 in der Stadt erbaute Gemeindehaus. Ein schöner großer Saal gab die Möglichkeit zu würdigen kirchlichen Veranstaltungen. In drei Zimmern waren Sieche und Kranke wohl aufgehoben. Auch ein Kindergarten befand sich in diesem Hause. Neben dem Gemeindehaus stand das Haus der "Gemeinschaft innerhalb der Landeskirche". Ihre Leiter arbeiteten mit dem Pfarramt gut zusammen. In der Stadt waren ständig drei Diakonissen tätig; eine tat ihren Dienst im Gemeindehaus, besonders an den Kranken und Siechen und im Kindergarten, die beiden anderen kümmerten sich um die Kranken in der Gemeinde. Sie gehörten dem Mutterhaus Friedenshort der Schwester Eva Gräfin von Tiele-Winkler ("Mutter Eva") in Miechowitz (Oberschlesien) an. 1933 wurde auch in Bukowine (Buchenhain) ein Gemeindehaus mit Kapelle, einem kleinen Altersheim und einer Wohnung für eine Schwester, die als Gemeindeschwester tätig war, erbaut.
Zur Kirchengemeinde gehörten außer der Stadt 13 Dörfer. Die Seelenzahl betrug insgesamt 3700. Vor der Abtretung von 1920 gehörten noch weitere 3800 Seelen dazu.
Die Kirche ist unversehrt geblieben bis auf die Turmspitze, die abgeschossen, aber wieder errichtet wurde. Die Kirche dient jetzt polnisch evangelischen Gottesdiensten. Die beiden Pfarrhäuser sind verbrannt, auch das Gemeindehaus.
Letzte Kirchenpatrone: Baronin Agnes von Diergardt auf Mojawola in Suschen (verstorben auf der Flucht in Sagan) und Herr von Klitzing in Neumittelwalde.
Letzte Geistliche: Die Pastoren Joachim König, Wilfried Hilbrig und Kurt Vogelweider (gestorben 1948 in Löbau in Sachsen nach segensreicher Tätigkeit im dortigen Flüchtlingslager.
Letzter Kantor: Karl Eisert (gestorben Ostern 1946 in Neumittelwalde, nachdem er dorthin zurückgekehrt war und die Gemeinde nach Kräften versorgt hatte).

Schollendorf

Auch die Gemeinden Schollendorf und Görnsdorf wurden im 16. Jahrhundert evangelisch. Da sie zur Freien Standesherrschaft Groß Wartenberg gehörten, wurden auch sie von den bereits dargelegten Maßnahmen des Burggrafen Abraham von Dohna betroffen. Seit dieser Zeit hielten sich die Evangelischen der beiden Orte zur evangelischen Kirche in Pontwitz, Kreis Oels. Görnsdorf wurde in diese Kirchengemeinde eingepfarrt. Für Schollendorf und die im Kreise Oels gelegenen benachbarten Orte Ostrowine (Werden) und Wilhelmsort wurde 1892 eine eigene Kirchengemeinde Schollendorf errichtet. Sie zählte etwa 700 Seelen und wurde pfarramtlich mit Pontwitz verbunden. Diese Verbindung blieb bis zuletzt. 1899 erbaute sich die Gemeinde mit Hilfe kirchlicher Stellen und des Gustav-Adolf-Vereins eine eigene Kirche. Ein schmuckes Kirchlein war da in das Grün des Waldfriedhofes hineingebaut, das durch sein schlichtes Innere stimmungsvoll wirkte. Die Kirche hatte ein kleines, aber sehr eindrucksvolles Altarbild, einen Christuskopf darstellend, der so edle ernste und zugleich gütige Züge zeigte, daß mich dieses Bild immer wieder ergriff, so oft ich als Pastor von Pontwitz oder später als Superintendent des Kirchenkreises dort am Altar stand. Soweit ich habe in Erfahrung bringen können, ist dieses Bild von einem Fräulein von Rieben, der Tochter eines früheren Besitzers des Rittergutes Schollendorf, gemalt worden.
Alle 14 Tage hielt der Pontwitzer Pastor in Schollendorf Gottesdienst. Er vollzog dort auch alle kirchlichen Amtshandlungen. Die Konfirmanden gingen zum Unterricht nach Pontwitz und wurden dort mit den Pontwitzer Konfirmanden eingesegnet. 1928 erwarb die Kirchengemeinde das alte Schulhaus, um es zu einem Gemeindehaus umzuwandeln. Zu dem Kaufpreis von 6200 RM spendeten der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin 4000 RM, die Schlesische Provinzialsynode 1200 RM. Das Haus enthielt Räume für kirchliche Veranstaltungen, für einen Kindergarten und für die Schwesternstation. Trägerin dieser Station war die 1928 gegründete Ev. Frauenhilfe Schollendorf. Letzter Geistlicher: Pastor Johannes Zobel in Pontwitz.
In den Jahren 1930-31 wurde in Neurode Kreis Groß Wartenberg eine kleine Kirche erbaut, die etwa 200 Gläubigen Platz bot. Wie schon bemerkt, war der Ort durch die Grenzziehung von seiner alten Kirchengemeinde Suschen getrennt worden. Er wurde nun zum Kirchenkreis Militsch geschlagen und wurde von dem Geistlichen in Wildbahn Kr. Militsch versorgt. Das blieb auch so, als Neurode eine eigene Kirche erhielt. Das Land zum Kirchbau wurde von der Ortsgemeinde unentgeltlich zur Verfügung gestellt, auch leistete sie die Hand- und Spanndienste. An den Baukosten beteiligte sich der Gustav-Adolf-Verein. Der Altarraum der Kirche und der Altar selbst waren in schlichter Form gehalten. Anstelle eines Altarbildes grüßte die Gemeinde vom Altar her ein großes Kreuz (erst nach 1945 erhielt die Kirche auch ein Altarbild).
Im gesamten Kirchenkreis Groß Wartenberg ist 1945 nur eine Kirche zerstört worden, die Kirche in Maliers (Malen) Kreis Oels.

Das kirchliche Leben

Das kirchliche Leben in den einzelnen Gemeinden durfte als gut und rege bezeichnet werden. Das galt nicht nur von dem Besuch der Gottesdienste, sondern auch von dem außergottesdienstlichen Gemeindeleben. Zahlreiche kirchliche Vereine faßten bestimmte Kreise und Gruppen in den Gemeinden zusammen und dienten damit dem Ganzen. Da sind die "Evangelischen Frauenhilfen" zu nennen, die in allen Gemeinden blühten und zu einem Kreisverband zusammengeschlossen waren. Sie wurden für manche evangelische Frau so etwas wie eine innere Heimat, eine Heimat der Seele. Da gab es auch Ev. Männervereine, zuletzt "Ev. Männerwerk" genannt. In Groß Wartenberg bestand ein "Ev. Familienverein", der aus dem schon 1869 gegründeten "Männer- und Jünglingsverein" hervorgegangen war. Neumittelwalde und Groß Wartenberg hatten Evangel. Arbeitervereine. Die Arbeit an der männlichen und weiblichen Jugend wurde mit Eifer und Hingabe betrieben. Der Festenberger Verein für die evangelische männliche Jugend hatte jahrelang über 100 Mitglieder! Den Vereinen für die weibliche Jugend waren hier und da Nähstuben angeschlossen. Alljährlich kam die Jugend des Kirchenkreises zu Kreisfesten zusammen. Ich erinnere mich noch an ein besonders schönes und gelungenes Kreisfest für die weibliche Jugend am Gräflich Reichenbach'schen Waldhaus. Evangelische Elternbünde hielten bei den Gemeindegliedern, besonders bei den Eltern, die Verantwortung wach für die evangelische Erziehung in Schule, Kirche und Haus. Es gab einen Kreisverein für äußere Mission, der alljährlich bald in dieser, bald in jener Gemeinde des Kirchenkreises ein Kreismissionsfest veranstaltete, auf dem oft ein Missionar, der vom Missionsfelde kam, von seiner Arbeit berichtete. Dieser Kreisverein brachte z. B. im Jahre 1928 4021,93 RM für die Heidenmission auf. In demselben Jahr ergaben
Abb. 124
Festenberger Posaunenchor um 1926
die monatlich für verschiedene kirchliche und mildtätige Zwecke gesammelten Hauskollekten im Kirchenkreise 4645,90 RM, die in den Gottesdiensten gesammelten Kirchenkollekten 5617,50 RM. Für den Gustav-Adolf-Verein, der besonders in Groß Wartenberg und in Neumittelwalde Mitglieder und Freunde hatte, wurden in diesem Jahr 1030,58 RM aufgebracht. Auch der Evangelische Bund hatte Mitglieder in den Gemeinden, besonders in der Lehrerschaft. In das Gebiet der Inneren Mission gehörten die schon bei den einzelnen Gemeinden erwähnten Diakonissenstationen. Aber auch des Herbergsvereins darf gedacht werden, wie er in Festenberg und in Groß Wartenberg bestand zur Unterhaltung einer "Herberge zur Heimat" für durchreisende Wanderer. - Die Kirchenmusik fand bei tüchtigen Kantoren gute Pflege. Wie sehr trugen die Kirchenchöre zur Bereicherung des gottesdienstlichen Lebens bei! Wie gern sangen unsere Gemeinden! Silesia cantat - "Schlesien singt" - dieses alte Wort traf auch auf die evangelische Kirche im Kreise Groß Wartenberg zu. Manch schöner und wertvoller alt-evangelischer Choral, den man anderwärts gar nicht mehr kannte, war hier noch lebendiger Besitz der Gemeinden. Eine große Bereicherung stellten für das gottesdienstliche außergottesdienstliche Gemeindeleben die Posaunenchöre dar. Wie sehr hat doch z. B. unser Festenberger Posaunenchor zur Erbauung der Gemeindeglieder in festlichen Gottesdiensten oder bei anderen kirchlichen Veranstaltungen beigetragen! Wie wurde daher seine Mitwirkung immer wieder begehrt und mit großem Dank aufgenommen! Wie freuten sich die Alten der Gemeinde, wenn ihnen der Posaunenchor zum 70. oder 80. Geburtstag ein Ständchen brachte! - Kirchliche Sonntagsblätter wurden in allen Gemeinden gelesen, besonders das für die ganze Kirchenprovinz Schlesien bestimmte Blatt "Unsere Kirche". - Ein
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Generalkirchenvisitation in Groß Wartenberg, Zug zur Kirche (1929)
besonderer Segen ruhte - diesen Eindruck hatte ich wenigstens oft - auf den abendlichen Bibelstunden, die im Winter in den Dörfern gehalten wurden, lange Zeit in den Schulen und, als das nicht mehr sein durfte, bei irgendeinem freundlichen Gemeindeglied, das eine Stube dafür zur Verfügung stellte. In der Stadt fand meist im Spätherbst Abend für Abend eine ganze Bibelwoche statt. Besonders eifrig wurde diese Arbeit wohl in Neumittelwalde betrieben, da Pastor König sich dafür besonders einsetzte. Während des Krieges waren fast alle Pastoren des Kirchenkreises zur Wehrmacht einberufen. Es muß da mit besonderer Dankbarkeit und Anerkennung der Pfarrfrauen gedacht werden, die sich in der Abwesenheit ihrer Männer mit großer Aufopferung für die Aufrechterhaltung des kirchlichen Lebens einsetzten, insbesondere durch Abhaltung von Lesegottesdiensten und Bibelstunden, durch Vertretung einberufener Organisten, Weiterführung der kirchlichen Vereinsarbeit usw. Als ich einmal einem Konsistorialrat vom Breslauer Konsistorium sagte, ich könne kaum noch einen Pfarrkonvent halten, da außer mir im ganzen Kirchenkreise nur noch ein Pastor vorhanden sei, erwiderte er: "Aber Sie haben doch noch die Pfarrfrauen!"
Wenn vom kirchlichen Leben die Rede ist, muß noch eines besonderen Ereignisses gedacht werden, das den ganzen Kirchenkreis umfaßte:

der Generalkirchenvisitation Ende April und Anfang Mai 1929. Die ganze Bevölkerung, nicht nur die evangelische, nahm an diesem großen und seltenen Ereignis lebhaften Anteil. (Die letzte Generalkirchenvisitation hatte im Kirchenkreise Groß Wartenberg 1883 stattgefunden!) Die Visitation nahm ihren Ausgang von Festenberg, dem Sitz der Superintendentur. In dem schönen Sitzungssaal des Festenberger Rathauses, in dem sich alle Geistlichen des gesamten Kirchenkreises und die Mitglieder des Kreissynodalvorstandes versammelt hatten, begrüßte in Vertretung des an diesem Tage verhinderten Landrats Majoratsbesitzer Dr. von Korn auf Rudelsdorf den Herrn Generalsuperintendenten, späteren Bischof D. Zänker, unter dessen Leitung die Visitation stand, und die Visitationskommission im Namen des Kreises Groß Wartenberg. Die Stadt - nicht nur die Behörden, sondern auch die Bürgerhäuser - hatten reich geflaggt. Die städtischen Dienststellen blieben an diesem Tage geschlossen. Dann bereiste die Visitationskommission etwa 14 Tage lang alle Gemeinden, und in allen erlebten wir schöne und gesegnete Stunden. Die Aufnahme in den Gemeinden, besonders auch in den Pfarrhäusern und in den Gutshäusern, war überaus herzlich. Graf Heinrich von Reichenbach gab für den Herrn Generalsuperintendenten, die Mitglieder der Kommission und andere geladene Gäste einen festlichen Abend im Goschützer Schloß. Unvergessen sind mir auch die tief empfundenen, von christlichem Geist erfüllten Begrüßungsworte geblieben, mit denen uns unser Landrat Detlev von Reinersdorff in seinem Hause in Ober-Stradam willkommen hieß. In einzelnen Gemeinden verliehen Illuminationen, Fackelzüge und dergl. der Veranstaltung das Ausmaß eines großen christlichen Volksfestes, wie es diese Orte seit Jahre nicht erlebt hatten. Im Mittelpunkt der Visitation stand in jeder Gemeinde natürlich ein feierlicher Gottesdienst mit Predigt des Ortsgeistlichen und Ansprache des Herrn Generalsuperintendenten. Im übrigen traten alle wichtigen Gebiete kirchlicher Arbeit in Erscheinung, sei es auf Kreisfesten oder auf Familienabenden in den einzelnen Gemeinden. Zum Schluß fanden noch einige besondere Tagungen für den ganzen Kirchenkreis statt: eine mit einer gemeinsamen Abendmahlsfeier eingeleitete Religionslehrerkonferenz in Festenberg, ein Schwesterntag in Groß-Schönwald und eine Versammlung der landeskirchlichen Gemeinschaften in der Festenberger Kapelle.
Abb. 126
Neumittelwalder Jungmädchengruppe am 15.6.1930
Abb. 127
Neumittelwalder Jungmädchengruppe mit Pastor Steinhäuser

Die kirchliche Ordnung war in unseren Gemeinden fest gegründet Es kam nur ganz vereinzelt vor, daß ein Kindlein nicht zur Taufe gebracht, ein Junge oder ein Mädchen nicht konfirmiert, ein Brautpaar nicht kirchlich getraut, ein verstorbenes Gemeindeglied nicht kirchlich beerdigt wurde.

Nicht mehr überall, aber doch noch hier und da rankten sich um diese kirchlichen Handlungen allerlei alte Sitten und Gebräuche. Bei der Taufe wurde der Täufling um den Altar getragen und dreimal gegen den Altar geneigt. Wenn das Kind ein Jahr alt war, wurde es nochmals in die Kirche gebracht. Die Wöchnerin machte ihren ersten Ausgang nach der Geburt des Kindes in die Kirche und wurde dort nach der Beendigung der Taufhandlung eingesegnet. Die Konfirmanden gingen in feierlichem Zuge, die Jungen mit Myrtensträußchen, die Mädchen mit Myrtenkränzchen geschmückt, unter Glockengeläut zur Kirche, in manchen Orten wie in Festenberg vom Posaunenchor geleitet. Als Hochzeitstag war besonders der Sonnabend beliebt, doch hielt ein Teil der bäuerlichen Bevölkerung am Dienstag, dem dritten Tag der Woche, fest, weil nach Ev. Joh. Kap. 2 V. 1 die Hochzeit zu
Abb. 128
Festenberg, ev. Kapelle
Kana "am dritten Tage" stattgefunden hat. Am Sonntag nach der Trauung unternahm das neuvermählte Paar seinen ersten gemeinsamen Gang zum Gottesdienst. Bei goldenen Hochzeiten wurde das Jubelpaar in der Kirche oder zu Hause eingesegnet. Starb ein Gemeindeglied, so wurde "ausgeläutet", meist zur Mittagszeit, weil da alle zu Hause waren. Sodann wurde "zur Bei-Grabe" gebeten, d. h. im Auftrag der Hinterbliebenen ging ein Bote von Haus zu Haus, machte von dem Todesfall Mitteilung und bat um Teilnahme an der Beerdigung. Der Tote wurde im Hause aufgebahrt, auf dem Lande aber auch sehr oft im Hofe. Dort fand sich fast die ganze Gemeinde ein, alle mit Gesangbüchern, denn es wurde dabei viel gesungen, manchmal zwei lange Sterbe- und Begräbnislieder hintereinander. Wenn sich der Leichenzug in Bewegung setzte, wurde der Sarg von den Trägern dreimal angehoben, ehe sie ihn aufnahmen. War ein Junggesell oder eine Jungfrau gestorben, so wurde der Sarg von Junggesellen getragen. Junge Mädchen gingen zu beiden Seiten des Sarges mit einer Girlande in den Händen. Dem Sarge vorangetragen wurde ein weißseidenes mit einem Myrtenstrauß oder einem Myrtenkranz geschmücktes Kissen. Nach der Feier am Grabe wurde die Girlande um das Grab gelegt, die Myrten wurden ins Grab geworfen. Auf den Dörfern war es Sitte, daß der Pastor nach der Beendigung der Feier auf dem Friedhof im Namen der Hinterbliebenen allen dankte, die dem Heimgegangen im Leben und in seiner letzten Krankheit Gutes erwiesen oder die ihn zu seinem Grabe geleitet hatten. In einem Dorf, das zur Hälfte evangelisch und zur Hälfte katholisch war, wurde besonderer Wert darauf gelegt, daß der Pastor den Gemeindegliedern "beider Konfessionen" den Dank für das Grabgeleit aussprach. Ein Jahr nach dem Tode wurde im Sonntagsgottesdienst bei brennenden Kerzen und Glockengeläut für den Verstorbenen ein Gedächtnislied aus dem Gesangbuch gesungen.
Abb. 129
St.-Trinitatis-Kirche in Distelwitz
Die Friedhöfe wurden von unseren Gemeinden in guter Ordnung und in Ehren gehalten. Sie wurden oft und gern besucht. Für manche war der Weg zum Friedhof der einzige Sonntagsspaziergang. Der Friedhof war so recht eigentlich der öffentliche Garten der Gemeinde. Am Totenfest wurden in manchen Gemeinden besondere Friedhofsandachten gehalten. In Festenberg fanden sie in der Friedhofskapelle statt, wobei so viele Gemeindeglieder kamen, daß sie kaum Platz hatten.

Zu jedem Kirchenkreis gehört die Kreissynode.Die Groß Wartenberger Kreissynode tagte alljährlich Ende Juni oder Anfang Juni, zwischen der Heu- und der Getreideernte, im Saal der Brauerei Hübner in Festenberg, nachdem ein Gottesdienst in der Kirche vorangegangen war. Mancherlei fruchtbare Anregungen sind für das kirchliche Leben und die kirchliche Arbeit in den einzelnen Gemeinden von der Synode ausgegangen; zugleich wurde der Blick immer wieder auf das Ganze der Kirche gelenkt.

Der Kirchenkampf in der nationalsozialistischen Zeit ist auch am Kirchenkreis Groß Wartenberg nicht vorübergegangen. Er hat für Pastoren und Gemeindeglieder viel Schweres gebracht; er hat aber auch sehr zur Festigung der Gemeinden beigetragen. Vielfach schlossen sich die kirchentreuen Kreise zur Bekennenden Kirche zusammen, so in Festenberg mit 300, in Neumittelwalde mit 450 Mitgliedern, in Groß Wartenberg und in anderen Gemeinden. Wie in der ganzen Geschichte der christlichen Kirche hat es sich auch hier wieder gezeigt, daß Zeiten großer Bedrängnis für die Kirche immer auch Zeiten großen Segens sind.
Abb. 120
Abendmahlsgerät aus Ober-Stradam


Letzter deutscher evangelischer Seelsorger im Kreise Groß Wartenberg war der frühere Festenberger Vikar Pastor Jörg Gottschick. Er hatte im "alten Zollhaus" in Groß-Graben eine Wohnung gefunden und versorgte von dort aus fast den ganzen Kirchenkreis. Einige an der Grenze des Kirchenkreises in Richtung Oels und Bernstadt gelegene Orte wurden von Pastor von Lieres in Allerheiligen Kreis Oels betreut. Aus einem Bericht, den mir Pastor Gottschick im Juli 1946 über die kirchlichen Verhältnisse in meinem alten Kirchenkreise erstattete, geht hervor, wie schwierig der seelsorgerliche Dienst in dem großen Gebiet und unter den obwaltenden Umständen war und wieviel Aufopferung er erforderte. Der Bericht zeigt aber auch, mit welcher Dankbarkeit und Willigkeit unsere damals noch in der Heimat zurückgebliebenen oder zunächst wieder dahin zurückgekehrten Volks- und Glaubensgenossen in der Lage, in der sie sich befanden, ihre Herzen dem Trost des Evangeliums öffneten. überall in den klein gewordenen Gemeinden und Gemeindlein fand Pastor Gottschick treue Helfer, bis auch dieser Dienst ein Ende nahm.
Das war die evangelische Kirche im Kreise Groß Wartenberg. Was ist davon geblieben? Nur eine wehmütige Erinnerung? Nein, sondern der Same des göttlichen Wortes, der durch Jahrhunderte so reichlich in die Herzen gestreut werden konnte, lebt und wirkt weiter bei allen, die mit der Heimat auch ihre Heimatkirche nicht vergessen können und wollen.

"Alles vergehet - Gott aber stehet ohn alles Wanken".
(Paul Gerhardt)



Die geschichtlichen Angaben des vorstehenden Kapitels sind in der Hauptsache dem Buch entnommen: "Der evangelische Kirchenkreis Groß Wartenberg in Vergangenheit und Gegenwart", Festschrift zu der Generalkirchenvisitation 1929, besorgt von Pastor Konrad Köhler in Briese Kreis Oels (inzwischen verstorben).

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