Abb. 108
Windmühlen bei Klenowe (später Hirschrode)

Das Mühlengewerbe im Kreise Groß Wartenberg

Von Heinrich Hahn

Kein Gewerbezweig war seit Jahrhunderten von der Romantik so umwoben wie das Müllergewerbe. Seit Jahrhunderten brauchte der Mensch Mühlen um Korn zu mahlen und damit seine Ernährung zu sichern, und seit Jahrhunderten finden wir in aller Welt Mühlen. Von den primitivsten Anfängen der Menschheit, als der Mensch vom Jäger zum Ackerbauer wurde, haben Mühlen Getreide gemahlen.
Während im frühen Altertum noch menschliche und tierische Muskelkraft für den Betrieb von Mühlen Verwendung fand, waren die ersten durch Naturkräfte getriebenen Mühlen, die Wassermühlen, in ihrer einfachsten Form bereits im Altertum bekannt.

Urkundlich werden Wassermühlen schon zur Zeit Heinrich des Löwen erwähnt. Damals war jeder Mühle ein Zwangs- oder Bannrecht verliehen, das die Bewohner eines Bezirks verpflichtete, stets nur in der ihnen zugewiesenen Mühle mahlen zu lassen. Der Mahlzwang stammt aus der Zeit, als dem Landesherrn allein das Wasserhoheitsrecht zustand. Der Landesherr übertrug dieses Regal gegen Entgelt an Städte, Klöster, Adelige, die ihrerseits wieder an die Pächter entsprechende Zinsforderungen stellten. Die Pächter mußten eine Reihe von Verpflichtungen übemehmen. Sie mußten geloben:
1 . den Pachtzins zur rechten Zeit zu zahlen,
2. dem Verpächter jederzeit gebührenden Gehorsam zu erweisen,
3. die Mühle stets in gutem Zustand zu halten,
4. kleine Ausbesserungen auf eigene Kosten durchzuführen, usw.
Der Müller hatte die Mahlgäste höflich und zuvorkommend zu behandeln. Er sollte niemanden bevorzugen, sondern stets nach dem Grundsatz handeln: Wer zuerst kommt mahlt zuerst!
Es erschien notwendig den Müller unter Androhung von Strafe auf gerechte Behandlung der Mahlgäste zu verpflichten, weil diese in seine Hand gegeben waren und ihm infolge des Bannrechts nicht untreu werden konnten. Er mußte ernstlich versprechen, niemand zu übervorteilen und sich mit dem vorgeschriebenen "Matten" zu begnügen. Der Matten oder Mahllohn betrug ein Sechszehntel der Menge des zum Mahlen überbrachten Kornes. Er wurde mit einer amtlich abgestempelten "Mattschale" gemessen.
Infolge Ausbildung des landesherrlichen Wasserhoheitsrechtes stand den Fürsten und nach ihnen den mit Mühlen belehnten Stellen auch ein Mühlenregal zu an allen schiffbaren Flüssen d. h. das Recht auf alleinige Ausübung der Müllerei.
Das Mühlenregal hatte natürlich lange Zeit hemmend auf die Entwickelung der Betriebe eingewirkt. Manche einengenden Vorschriften und Rechte der Grundherren wurden bereits bei Beginn des 19. Jahrhunderts beseitigt, soweit es sich nicht um rein persönliche Verpflichtungen handelte. Ihre endgültige Erledigung fanden sie 1869 mit der Einführung der unbeschränkten Gewerbefreiheit.
In großen Zügen war die Entwickelung dieses Gewerbezweiges genau so in unserem Heimatkreis Groß Wartenberg. Auch hier gab es seit dem frühen Mittelalter Wind- und Wassermühlen und in alten Chroniken konnte man lesen, daß die Anfänge dieser oder jener Mühle bis ins 11. und 12. Jahrhundert zurückgingen. Statistiken stellen nüchtern fest, daß es in unserem Heimatkreis in den Orten: Groß Wartenberg, Festenberg, Neumittelwalde, Buchenhain, Dalbersdorf, Distelwitz, Goschütz, Kunzendorf, Klein-Schönwald und Nieder-Stradam Mehlmühlen gab, die meistens nach ihrer Größe und Leistungsfähigkeit nur örtliche Bedeutung hatten.
Da unser Heimatkreis ein rein landwirtschaftliches Gebiet war, und die Industrie in ihn bis 1945 noch keinen Eingang gefunden hatte, war die Struktur der meisten Mühlen nur auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft abgestellt. Es wurde Futtergetreide geschrotet und in der Lohn- und Umtauschmüllerei für Bauern, Deputanten und andere Selbstversorger Getreide zu Mehl vermahler. Die kleinen Mühlen betrieben nebenbei noch eine Landwirtschaft. Ihr Anteil an der Handelsmüllerei war sehr gering. Sie waren in ihrer Existenz davon nicht abhängig. Entsprechend dieser Tatsache war die Leistungsfähigkeit dieser Mühlen gering und lag meistens bei 1 bis 3 Tonnen Getreide täglicher Vermahlung. Bei diesen Mühlen handelte es sich um einen mit der Landwirtschaft eng verbundenen Gewerbezweig, der ohne eine Konkurrenz zu fürchten seine Existenz der Tatsache verdankte, daß in der Lohn- und Umtauschmüllerei durch einen niedrigen Mahllohn von 1,25 Mark bei Roggen und 1,80 Mark bei Weizen die anspruchslose Landbevölkerung mit dem notwendigen Mehl versorgt wurde. Diese Mühlen waren auch krisenfest, weil das Mehl so verbraucht wurde, wie es die Mühleneinrichtungen lieferten, ohne daß überspitzte Forderungen an Helligkeit, Backfähigkeit und allgemeine Güte gestellt wurden. Auch waren die Mühlen in unserem Heimatkreis in der Lage die gesamte Kreisbevölkerung mit Mehl zu versorgen.
Herr Hartmann war in Kunzendorf ein guter Fachmann und betrieb neben der Mühle noch eine Landwirtschaft, so daß der Betrieb gut fundiert war. Neben der Lohn- und Umtauschmüllerei wurde in geringem Umfang auch Handelsmüllerei betrieben, wobei das Mehl auch waggonweise an die bekannte Breslauer Mehlgroßhandlung Paul Roth, Breslau Tauentzienplatz, geliefert wurde. -
Die Mühle in Groß Wartenberg wurde in einem völlig verwahrlosten Zustand im Jahre 1926 von dem Mühlenkaufmann Adolf Hahn gekauft und 1928 mit einem Kostenaufwand von fast 200 000,- Mark umgebaut, modernisiert und in ihrer Leistungsfähigkeit verdoppelt. Dank der umsichtigen Geschäftsführung arbeitete die Mühle von 1928 bis 1942 mit stets steigender Vermahlungsmenge, so daß die Handelsmüllerei immer mehr in den Vordergrund trat und die Lohn- und Umtauschmüllerei in den letzten Jahren nur noch 10 % der Gesamtvermahlung ausmachte.
Während in den ersten Jahren die beiden Breslauer Mehlgroßhandlungen Gustav Wagner und Paul Roth beliefert wurden, wurden in den letzten Jahren vor dem Kriege nicht nur viele Bäckereien in Groß Wartenberg, Neumittelwalde, Festenberg, Oels und Breslau beliefert, sondern auch noch eine Brotfabrik in Chemnitz und in Wanne-Eickel.
In den Jahren ihres Bestehens hat die Mühle in Groß Wartenberg in den Jahren 1939 bis 1942 die Höchstvermahlungen mit monatlich 250 Tonnen erreicht. Der Strombezug vom EW-Schlesien aus Kraftborn belief in den letzten Jahren auf über 200 000 kWh jährlich. Auch wurde das zunächst sehr gering ausgefallene Mühlenkontingent nach 1934 zweimal erhöht.
Wenn man berücksichtigt, daß die Mühle in Groß Wartenberg als Handelsmühle in einem Konkurrenzkampf mit den beiden Spitzenmühlen, "Große Mühle Oels" (der modernsten in Deutschland) und den Schlesischen Mühlenwerken in Breslau lag, so muß man feststellen, daß es der Mühle gelungen ist, sich einen guten Kundenstamm aufzubauen. Wenn man weiter weiß, daß es im schlesischen Mühlengewerbe 2 260 Mühlen mit 6 700 Beschäftigten gab, die über den tatsächlichen Bedarf Mehl herstellen konnten, so wird man die Tatsache, daß es bei dieser Lage in Groß Wartenberg gelang immer mehr und mehr Getreide zu vermahlen, würdigen können.
Die Kontingentierung der Getreidemühlen durch den Reichsnährstand im Jahre 1934 brachte viele Betriebe in schwere wirtschaftliche Bedrängnis. Die meisten Mühlen durften nur noch 33 % ihrer Leistungsfähigkeit ausnutzen und waren an monatliche Vermahlungsquoten gebunden. Die Lohn- und Umtauschmüllerei wurde in die Kontingentierung mit einbezogen. Dies war für die Mühlen in unserem Heimatkreis besonders nachteilig, weil der Kreis ohnehin durch die Grenzziehung im Jahre 1919 wirtschaftlich schwer geschädigt war. Hinzu kam noch 1937 eine allgemeine Lagerpflicht für Mühlen, die nunmehr Getreide einer 2-monatlichen Vermahlung ständig auf Lager halten mußten. Diese Vorschrift wurde zwar später gemildert und für Mühlen bis 700 Tonnen Jahreskontingent fallen gelassen, aber es war doch allgemein eine große wirtschaftliche Belastung, die für die Mühlen kaum tragbar war. Hinzu kam noch eine von Jahr zu Jahr steigende Konkurrenz der Mühlen aus unseren Nachbarkreisen. Außerdem zwang eine steil ansteigende technische Entwickelung und das hektische Verlangen der Hausfrauen nach immer hellerem Mehl die Mühlen zur technischen Modernisierung.
Während des Zweiten Weltkrieges 1939-1945 wurde der Verbrauch von Mehl durch die Lebensmittelrationierung geregelt. - Manche Mühle mußte die Vermahlung einstellen oder einschränken. Und als der Sturm aus dem Osten Anfang 1945 über unsere Heimat brauste, kamen die Räderwerke der Mühlen zum Stillstand.

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