Die heimische Vogelwelt

Von Klemens Dirbach +

Lehrer Klemens Dirbach aus Kunzendorf hat im Laufe der Jahre 1921 bis 1945 eigene Beobachtungen angestellt. Er betrachtete die Vogelkunde als sein besonderes Steckenpferd. Die Beschreibung der Vogehvelt am Beispiel von Kunzendorf kann man als für das gesamte Kreisgebiet gültig betrachten. Aus den Aufzeichnungen von Klemens Dirbach ist uns folgendes erhalten geblieben.

Oberflächlich geurteilt könnte man sagen, daß es in der Umgebung von Kunzendorf wenig Vögel gab, aber diese Ansicht ist irrig. Es waren alle bekannten Arten vertreten.
Beginnen wir mit dem Gassenjungen, dem Spatz (Haussperling). Er kam so häufig vor, daß er fast zur Dorfplage wurde. Dank seiner starken Fruchtbarkeit und den vielfachen Nistgelegenheiten in hohlen Bäumen, unter Strohdächern, in verlassenen Starkästen, aber auch freibrütend in einem großen Nest auf den Pappeln, vermehrte er sich sehr stark, so daß die Bauern ihre Sommergerste weit vom Dorf entfernt anbauten, um sie nicht schon vor der Ernte von den Sperlingen ausdreschen zu lassen. Wenn ich im Winter meine Hühner fütterte, mußte ich bei ihnen bleiben, denn ging ich fort, waren bald 30 Spatzen dabei und halfen tüchtig mit. Ein ähnlicher Plagegeist war Bruder Lustig, der Star, und da muß ich gestehen, daß ich "die Geister, die ich rief", nicht mehr los wurde: Als ich 1920 nach Kunzendorf kam, ermunterte ich die Schuljungen zum Aufhängen von Starkästen. Bald sah man sie in jedem Garten und der Vermehrungserfolg war entsprechend. Scharen von vielen Hunderten kreisten in der Luft, ließen sich auf den Viehkoppeln und Schafbrachen nieder, überfielen aber auch die Kirschbäume und ernteten sie im Nu ab. Auch reife Birnen wurden genommen, dabei halfen die Spatzen eifrig mit.
Im zeitigen Frühjahr schmetterte der Buchfink seine kurze aber kräftige Strophe, sie lautet aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzt "Habt ihr nicht meinen Vater gesehen? " Auf vielen Obsthochstämmen fand man sein kunstvolles Nest. Sein Vetter, der Grünfink hatte einmal in meinem Garten in einer Fichte gebrütet, der Distelfink oder Stieglitz kam meistens im Spätsommer ins Dorf und tat sich an den reifen Samen der Kletten und Disteln gütlich. Der Bluthänfling nistete regelmäßig im Holunderbusch an meinem Keller, einmal auch im Weinspalier, dagegen fand ich nie das Nest vom Zeisig obwohl er sich oft sehen ließ. Im Winter gaben einige Gimpel für kurze Zeit hier Gastrollen.
Die unermüdlichen Laubsänger, die Grasmücken waren bei uns sehr viel anzutreffen. In meinem Garten nistete jedes Jahr eine Gartengrasmücke in einem Flieder- oder Holunderstrauch in etwa zwei Meter Höhe. In einem Dornbusch kannte ich das Nest einer Sperbergrasmücke, ihre Jungen hatte der Kollege Weihmann aus Dalbersdorf beringt. Im Gebüsch des Friedhofs schmetterte die Mönchsgrasmücke ihr vielstrophiges Lied. Die Leute meinten es sei die Nachtigall. Diese war im Garten vom Gut zu hören, in letzter Zeit aber nicht mehr.
Es gab kaum einen Kuh- oder Pferdestall, in dem nicht das Nest einer Rauchschwalbe, Stall- oder Dorfschwalbe an der Wand klebte. Unter dem Dach des Dominialkuhstalles nistete eine ganze Kolonie Mehlschwalben. Die Leute sprachen noch von der Turmschwalbe. Diese Bezeichnung ist aber falsch. Es waren ein oder zwei Paare des Mauerseglers, die auf dem Kirchturm nisteten.
Von den Stelzen kann ich nur die schwarzweiße Bachstelze bestätigen, die überall nach Fliegen und Mücken haschte und in den Schobendächern oder unter den Weidebrücken ihr Nest hatte.
Die Goldammer nistete am liebsten an Grabenrändern, die durch einen Strauch geschützt waren, am oder dicht über dem Boden. Sehr schwer war das Nest der Grau- oder Wiesenammer zu finden. Sie war auf der Reesewitzer Chausee unser ständiger Begleiter, saß auf den Telegraphendrähten und flog vor uns regelmäßig weiter.
Die Kohlmeise war überall zu sehen, da ihr die Höhlungen der alten Obstbäume hinreichend Nistgelegenheit boten. Im Winter waren an den Futterhäuschen die Blaumeisen ständige Besucher. Seltener schon waren die Tannenmeise und Graumeise, und ganz vereinzelt kamen Haubenmeise und Schwanzmeise vor.
Durch Hecken und Reisighaufen huschte der Zaunkönig, da er wie eine Maus in Löchern verschwindet, nannte ihn das Volk "Mäusekönig". Im Winter war er Gast in vielen Bauernhöfen und schlüpfte durch die kleinsten öffnungen hindurch. "Hup, hup, hup, hup, hup, hup", hörte ich im Sklarker Walde den farbenprächtigen Wiedehopf. Ins Dorf kam er selten, dagegen sah man ihn öfters auf dem Wege Zur Nive. Hier in den Kopfweiden war sein Nest. Lehrer Kienast aus Neustradam hat einmal die Jungen beringt.
Drosseln waren bei uns zahlreich vertreten, ich erwähne die Amsel oder Schwarzdrossel, die Singdrossel, die Wacholderdrossel, den Pirol oder Golddrossel. Man mußte scharf aufpassen, um das Lied von Singdrossel und Amsel zu unterscheiden. Letztere traf ich in meiner Jugend nur in den Feldgehölzen an, sie siedelte aber später ins Dorf über und tat sich an den Erdbeeren, Weintrauben und Kirschen gütlich. Das Revier der Wacholderdrossel war die hauptsächlich mit Wacholderbüschen bestandene Sandwerkremise. Im Herbst traf man große Schwärme von Drosseln an der Straße nach Groß Wartenberg. Dort standen viele Ebereschen, ebenso an der Ebereschenallee; im angrenzenden Walde gab es zudem Ebereschen als Unterholz. Die reifen roten Beeren wurden von den Drosseln gern verzehrt. Der goldgelbe Pirol ließ sich nur selten im Dorf blicken. Mehrmals sah man ihn auf den Birken des alten Friedhofes, erst 1946 fand ich in der Flur Sklarke sein Nest, das als Beutel in etwa 10 Meter Höhe an der Spitze einer Espe im Winde hin und her schwankte.
Den Zimmermann unter den Vögeln, den Specht, kann ich nur in drei Arten bestätigen: Großer und kleiner Buntspecht und Grünspecht. Sie nisteten im Walde, kontrollierten aber im Winter regelmäßig die alten Bäume unserer Gärten durch. "Spechtschmieden" fand ich öfter im Walde.
Der Kuckuck brauchte wegen seiner Gefräßigkeit ein sehr ausgedehntes Jagdrevier. Er rief hier und dort und oft unterwegs im Fluge. Nur wenn er die Obstbäume absuchte, hielt er den Schnabel. Einmal holten mich die Kinder zum schwarzen Graben; unter der Brücke sitze ein großer Vogel in einem kleinen Nest. Wirklich, in einem Bachstelzennest saß ein halbausgewachsener Kuckuck. Morgens um 5.00 Uhr begrüßte mich schon die Feldlerche mit ihrem schmetternden Lied. Ihr Gesang begleitete mich am Mittag, und wenn ich gegen Abend durch die Felder ging, hörte ich ebenfalls in den Lüften den Lerchengesang. Ihr Nest hatte sie in Getreide- und Kartoffelfeldern, aber auch auf Wiesen. In der Nähe des Dorfes hielt sich die Haubenlerche auf. Sie baute ihr Nest meistens in Haferfeldern. "... fürchte Gott, fürchte Gott", rief mir die Wachtel beim Spaziergang ins Ohr. Ihren Schlag hörte man in den hohen Getreidefeldern, aber nur sehr selten ließ sich der sehr scheue Vogel blicken. Im Volksmunde hieß die Wachtel Puttperwutt, auch Puttperick. Ihre größere Schwester, das Rebhuhn war häufiger, ja vor 30 bis 40 Jahren (um 1920) noch sehr zahlreich vorhanden.
Als dritter im Bunde des Wildgeflügels ist der Fasan zu nennen. Ein rechtes Fasanen-Eldorado war die Sandwerk- und Eichenremise. Buschwerk und anliegende Felder und Wiesen boten reichlich Deckung und äsung. Aber auch in anderen Gehölzen kam der Fasan vor. Zwei Gesperre kamen regelmäßig in der Vorwerksremise aus. Er war u. a. anzutreffen im Reesewitzer Busch, in den Korbweiden im Schwarzwald, in Sklarke und an der Försterei. Im Winter wurden Rebhuhn und Fasan gefüttert. Sie erhielten in den Remisen mehrere Fuhren Gerstenspreu zum Scharren und Hudern. Als Weide und Schwarzer Graben noch nicht reguliert waren, wurden im Winter und zur Zeit der Schneeschmelze die Wiesen von Stradam bis Dalbersdorf in einen kilometerlangen See verwandelt. Unzählige Wildenten gründelten hier in dem nicht zu tiefen Wasser. Der größte Teil von ihnen flog mit dem zurückgehenden Wasser ab, doch einige Paare blieben zurück, da ihnen Sumpf und darauf entstehende Schilfflächen reichlich Nahrung und Schutz boten. Auf diese Sümpfe ließen sich nun auch Scharen von Kiebitzen nieder, die mit ihrem durchdringenden "kih" weit die Luft erfüllten. Schuljungen und Erwachsene sammelten ihre Eier und verkauften sie in der Apotheke. In den Sümpfen fand Familie Storch einen reich gedeckten Tisch. Nach der Entwässerung blieben nur einige Paare dem Dorfe treu, und Familie Langbein mußte ihr Jagdrevier auf die umliegenden Felder ausdehnen, um satt zu werden. In letzter Zeit hörte man nur selten den Meckerruf der Bekassine und noch seltener das Schnarren der Wiesenralle. Aber ein Bläßhuhnpaar wohnte immer noch auf dem Mühlteich und auch das Wasserhühnchen kam manchmal aus dem Schilf hervor. In meiner Schulzeit fand ich einmal im Rohr des Ziegeleiteiches ein hängendes Nest, es wird wohl vom Teichrohrsänger gewesen sein.
Auch von den Krähen und ihrer Sippe ist etwas zu berichten: Die Grau- und Nebelkrähe, der größte Räuber unter ihnen war in wenigen Exemplaren vorhanden, aber doch regelmäßig zu sehen. Bevor die Dämmerung eintrat, sah man oft gewaltige Schwärme von Saat- und Rabenkrähen von Stradam her in Richtung Grunwitz ziehen. Sie flogen nach dem Schmograuer Walde, wo sie eine Riesenkolonie bildeten. Nester bis zu 30 Stück auf einem Baume waren hier keine Seltenheit. Manchmal waren unter ihnen auch einige Dohlen, die man an ihrem hellen Schrei erkannte.
Der nächste Spitzbube aus dieser Verwandtschaft war Frau Schackscharack, die Elster. Ihren Horst fand ich in der Vorwerkremise, im Bauernbusch, und Schlehdorngestrüpp, im Schwarzwald. Der letzte der Krähenfamilie, Markwart, der Eichelhäher, war im Walde sehr häufig anzutreffen. Im Winter kam er in die Nähe der Gehöfte. Hatte die Erde eine geschlossene Schneedecke, so kamen die Krähen ins Dorf, durchsuchten die Misthaufen und zerhackten auf den Straßen die Roßäpfel, um einige unverdaute Haferkörner darin zu finden. Zu ihnen gesellten sich dann Sperlinge und vereinzelt Finken, Goldammern und Haubenlerchen.
An der Grenze zwischen Hagers Acker und Lenorts Lehmwiese war ein Gebüsch aus Schlehe, Pfaffenhütel und Heckenrose. Hier nistete regelmäßig der Rotrückige Würger. In der Ziegeleiremise wurde mir ein Nest gezeigt, auf dem der Große Würger brütete. Der Kleine Würger nistete in den Hecken, die sich an der Groß Wartenberger Straße und an dem Wege nach der Sklarke hinzogen, in zwei oder drei Paaren. Wenn man an Abenden die Chaussee am Walde entlang fuhr, so wurde man plötzlich durch ein "Hu, hu, hu" erschreckt. Es war der schaurig-schöne Schrei der Waldohreule oder des Waldkauzes. An milden Abenden strich die Schleiereule dicht über den Getreide- und Kleestoppeln dahin, um Beute zu suchen, während das Käuzchen, Steinkauz, das ganze Jahr hindurch dem Dorfe treu blieb und von den Firsten der Häuser den Schläfern sein "Komm mit, komm mit", zurief. Das Käuzchen wurde daher auch Totenvogel genannt. Die Könige des Luftraumes über der Gemeinde waren die Taggreife. Stolz zog der Bussard seine Kreise, bis er sich blitzartig herabstürzte, um eine erspähte Maus zu kröpfen. Ein Schreck der Geflügelhöfe und Sperlingsscharen waren Hühnerhabicht und sein kleiner Bruder, der Sperber. Aber so schnell der Schreck kam, so schnell war er wieder fort. Den Baumfalk bemerkte ich nur einmal im Gipfel einer hohen Fichte, dagegen sah man den Turmfalk, auch Rüttelfalk, sehr oft über den Feldern schweben. Der letzte dieser bewehrten Ritter war der Edel- oder Wanderfalke. Beim Schlagen einer Wildtaube in der Nähe der Feldscheune stürzte er ins Getreidefeld, wurde von den Landarbeitern gefangen und zu mir gebracht. Da sein Flügel beschädigt war, wurde er in einem großen Käfig gesund gepflegt. Völlig wiederhergestellt konnte er, mit einem Ring versehen, nach einigen Tagen wieder freigelassen werden. Etwa nach drei Monaten erhielten wir von der Vogelwarte Rossitten die Nachricht, daß er im Sudetenland abgeschossen worden sei. Der Schütze hielt ihn für einen Habicht.
Pünktlich am 28. August sammelten sich die Störche zum Flug nach dem Süden, ihnen folgten am 8. September die Schwalben. Beim Rückflug waren die Stare die ersten Frühlingsboten in Kunzendorf.

Impressum / Rolf's Email / Rolf's Homepage / Kreis Groß Wartenberg / Buch Inhalt